22.03.2006

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22.03.2006:

In einer Deutschen Tageszeitung vom Verlag sh-z (Der Inselbote Dienstag, 14. März 2006) erschien ein Artikel unter der Überschrift:

Logopäden fürchten um Existenz

Neues Heilmittelbudget: Ärzte stellen weniger Rezepte für Sprachheilförderung aus

Kiel/kim - Katze, Matsch, Zaun - das waren für Leon vor einem Jahr noch Zungen­brecher. Die Worte kamen dem Sechsjährigen nicht richtig über die Lippen, er nuschelte, und die Spielka­meraden im Kindergarten konnten ihn nicht verstehen. „Er war isoliert und wurde immer stiller", berichtet Vater Maik Sayk-Grams. Dass der junge inzwischen die Zisch­laute aussprechen kann und zum ersten Mal eine Einla­dung zum Kindergeburtstag bekommen hat, verdanke er der Logopädiepraxis von Hans-Jürgen Hohmann in Neumünster, sagt der Vater.

Doch die Fortsetzung der 60-stündigen Therapie ist ge­fährdet. „Mein Hausarzt hat mir das Anschlussrezept kürzlich verweigert", berich­tet der Vater erbost. Erst nach Intervention der Kranken­kasse fand er einen Medizi­ner, der das Rezept ausstellte.

So wie ihm ergeht es seit Anfang des Jahres vielen Be¬troffenen, berichtet Hohmann. Der Beweis: Momentan betreut er 40 Prozent weniger Patienten als noch vor einem Jahr.

 

„Andere Kollegen sind viel schlimmer dran und müssen Personal entlassen", sagt der 52-Jährige, der sei 23 Jahren Kindern und Schlaganfall-patienten das Sprechen (wieder) beibringt. Schuld an der Misere ist die neue Richtgrössen-vereinbarung für Heilmittel, die am 1. Januar in Schleswig-Holstein in Kraft getreten ist. Danach dürfen Therapiestunden nur bis zu einer Höchstgrenze verordnet werden, um die Kosten der Krankenkassen zu senken. Das Heilmittelbudget für Kinder- und Jugendärzte beträgt 2,27 Euro pro Patient und Quartal- eine Förderstunde kostet im Schnitt 33 Euro. Folge: Die Mediziner fürchten sich vor hohen Regressforderungen und schicken keine Patienten mehr zum Logopäden. „Die betroffenen Kinder sind die Leidtragenden", beklagt Hohmann. Spätestens wenn sich schulische Misserfolge einstellten, werde die Gesell-schaft die Zeche zahlen müssen.

Dabei sind Sprach-Defizite  bei Kindern gewachsen, wie ' Schuleingangsuntersuchungen belegen. Detleff Banthien aus Bad Oldesloe; Landes-vorsitzender der Kinder- und Jugendärzte, führt das auch auf gestiegenen Medienkonsum

 

und die „fehlende und zunehmend inkompetente elterliche Kommunikation mit den Kindern" zurück. Statt vorzulesen und mit den Kindern zu reden, würden sie vor dem Fernseher geparkt. Für Burkhard Schürenberg, HNO-Arzt und Facharzt für Phoniatrie in Schleswig, ist das neue Heilmittelbudget ein „perfides System. Wir bekommen Druck von Kassen, Eltern und von den Therapeuten, auf deren Kosten wir keinen Einfluss haben". Denn die Stundensätze für die Logopäden werden von den Kassen ausgehandelt. Auch Schürenberg kann nur noch über die Hälfte der Mittel des letzten Quartals verfügen und muss sich Vorwürfe anhören. Dass ausgerechnet die Kassen abgewiesenen Patienten empfehlen, Klage gegen die Ärzte einzureichen, zeige, „wie extrem krank das System ist".

Dafür spricht auch, dass das Arbeitsamt Umschulungen zum Logopäden (Kosten: 35000 Euro) bezahlt, obwohl die Kassen bei der Sprachheilförderung auf die Bremse treten. Im Examensjahrgang 2005 wurden 26 von 27 Schülern in der Kieler Logopädenschule öffentlich gefördert, berichtet eine Absolventin.